Ist Planung ein automatisierbarer Prozess – oder: Kann KI Architektur? (Teil 2)

Ein Gastbeitrag von Philipp Eichstädt, se·g architekten, Berlin

Der US-amerikanische Architekt Eric Reinholdt vergleicht die Arbeit mit Künstlicher Intelligenz mit dem Glücksspiel. Das „Prompten“ – also das möglichst geschickte Formulieren einer Aufgabenstellung – gleicht dem Einsatz am Spielautomaten: Man sitzt davor und hofft auf ein möglichst günstiges Ergebnis, bereit, mit der nächsten Münze ein noch besseres Ergebnis zu erzeugen.

So zutreffend diese Beobachtung ist, so weit ist dieser Ansatz von dem entfernt, was wir Architekten* unter „Planung“ verstehen. Trotzdem verbindet sich dem Schlagwort „KI“ die Hoffnung, dass eine neue Generation an Werkzeugen und Dienstleistungen das Planen und Bauen nachhaltig transformieren wird.

In Anbetracht des breiten Angebots haben wir uns die Frage gestellt: Kann man mit KI heute schon ein einfaches Planungskonzept erstellen?

Dies ist Teil 2 des Gastbeitrags von Philipp Eichstädt, Teil 1 finden Sie hier.

Teilautomatische Konzeptplanung: Lokal generierter KI-Entwurf mit Stable Diffusion und ControlNet (Abbildung: se·g architekten)

Teilautomatische Konzeptplanung: Lokal generierter KI-Entwurf mit Stable Diffusion und ControlNet (Abbildung: se·g architekten)

Die KI-Sprachmodelle

ChatGPT gab den Anstoß für unsere Recherche. Auch sind wir überzeugt, dass in den Sprachmodellen die größte transformative Kraft für die Zukunft unserer Branche steckt. Wir haben uns im Verlauf un-serer Recherche beim Formulieren von Texten helfen lassen, haben Excel-Formelsätze schreiben lassen und nutzen verschiedene Anwendungen für bessere und schnellere Recherchen im Netz.

Warum die Anfrage „Plane mir eine Schule und stelle mir die Bauantragsunterlagen zum Download bereit“ bei OpenAI noch kein verwertbares Ergebnis liefert, steht im Kern unserer Recherche. Ebenso bleibt zu klären, in wie weit von einer KI erzeugte Aussagen zu rechtlichen oder normativen Sachver-halten in unserer Planungsarbeit Verwendung finden können.

Mit Perplexity haben wir eine neue Dimension in der Web-Recherche gefunden. Und ChatGPT steuert von Zeit zu Zeit ganz ordentliche Versatzstücke bei. Die Suche nach einem wirklich alltagstauglichen Werkzeug, dass brauchbare Baubeschreibungen erstellt und diese mit projektbezogenen Gutachten und Rechtsbezügen abgleicht, dauert derweil noch an.

Die Bildgeneratoren

Analog zu den Sprachmodellen, ist auch zu den Bildgeneratoren ausreichend publiziert worden. Das Leistungsvermögen ist atemberaubend und in den letzten Monaten zum festen Bestandteil unserer Arbeit geworden.

Vom Text zum Bild: Midjourney erzeugt unserer Meinung nach zuverlässig die beeindruckendsten Bilder. Wir nutzen das Werkzeug fortlaufend, um Konzepte, Ideen, Materialitäten oder Stimmungen zu illustrieren. Selbst dann, wenn es nur darum geht, einfache Pappmodelle zu visualisieren.

Von der Skizze zum Bild: Nachteilig an Midjourney ist, dass die Vorgabe einer räumlichen Konzeptskizze nur mit größtem Fingerspitzengefühl funktioniert.

Vorreiter in diesem Feld ist Stable Diffusion mit der Zusatzfunktion ControlNet. Da die Bildsprache von Stable Diffusion recht allgemein ist, sind wir dazu übergegangen, spezifisch trainierte Modell auf lokalen Rechnern laufen zu lassen. Ismael Seleit hat hier die entscheidende Vorarbeit geleistet.

Die Arbeit mit KI-Modellen auf lokalen Rechnern ist vergleichsweise speziell, daher gibt es Anbieter wie die Sketch-to-Render-Plattformen Visoid und Gaia oder das CAD-Plugin Veras sowie einige andere, die die Funktionalität mit eigens konfektionierten KI Modellen als Dienstleistung anbieten. Dies funktioniert mit unterschiedlichen Ergebnissen, mal besser, mal schlechter.

Grundstücke und Baumassen

Zur Erstellung von städtebaulichen Massenmodellen finden sich zahllose Angebote im Netz. Die Auseinandersetzung mit der Frage was sich davon brauchen lässt und was nicht, hat uns im Rahmen der Recherche mehr oder weniger direkt in die Welt der digital verfügbaren Geoinformationen und Bauleitplanungen geführt.

Ohne zu wissen in welchem Kontext geplant wird, welche Genehmigungskriterien zu berücksichtigen sind und welche Planungsgrundlagen dazu verfügbar sind, erscheint das Er-stellen von ersten einfachen städtebaulichen Studien wenig zielführend. Die meisten ausländischen Anbieter haben in diesem Sinne mehrheitlich das Nachsehen.

Erwähnenswert sind der australische Anbieter Giraffe und der Münchner Anbieter Urbanistic, in de-nen man seinen städtebaulichen Ansatz konventionell erstellt, jedoch sehr brauchbar darstellen und mit allen erforderlichen metrischen Daten hinterlegen kann. Für eine schnelle und flächendeckende numerische Ermittlung von verfügbarem Bebauungspotentialen ist das Münsteraner Startup Syte voll-ständig gebrauchstauglich.

Städtebaulicher Entwurf mit KI-Unterstützung: Bearbeitung von Baumassen mit Urbanistic (Abbildung: se·g architekten)

Städtebaulicher Entwurf mit KI-Unterstützung: Bearbeitung von Baumassen mit Urbanistic (Abbildung: se·g architekten)

Abseits der öffentlichen (und mehrheitlich auch fachlichen) Wahrnehmung finden sich viele, die an der Digitalisierung von Baurecht und Genehmigungsverfahren arbeiten. Es wird jedoch sicherlich noch eine Weile dauern bis diese Ansätze breitenwirksam „spruchreif“ sind. Der für Deutschland übliche föderalen Abstimmungshickhack hat daran sicherlich seinen Anteil.

Ebenso wird es noch einiges dauern, bis alle wünschenswerten behördlichen Daten bis zum Detaillierungsgrad digitaler Bebauungspläne (xPlan) durchgängig verfügbar sind. Es bleibt zu hoffen, dass der öffentliche Druck nach schnellen, also digitalisierten Entscheidungs- und Genehmigungsprozessen hilft, das Handeln der verantwortlichen Ämter und Entscheider zu beschleunigen.

Baumassen und Nutzflächen

Viele Anbieter* klammern die oben erörterte Frage nach den lokalen Planungsgrundlagen am gegebenen Ort aus. Anstatt mit einem verifizierten Flurstück und baurechtlichem Kontext, startet man mit einem grob skizzierten Polygon und plant auf der digitalen „Grünen Wiese“.

Die Baumassen werden entweder errechnet oder vom Nutzer frei platziert und sind üblicherweise mit mehr oder weniger erstaunlichen Algorithmen für Wohnungs- oder Bürogrundrissen hinterlegt.

KI-unterstützte Baumassen-Studien mit Spacio (Abbildung: se·g architekten)

KI-unterstützte Baumassen-Studien mit Spacio (Abbildung: se·g architekten)

Wie sich ein prozentualer Split von 1-, 2- und 3-Zimmer Apartments in dem ermittelten Baukörper realisieren lässt, ist eine weit verbreitete Grundfunktion. Die verfügbaren Büro- und Wohnungsgrundrisse entspringen jedoch mehrheitlich anglo-amerikanischen Typologien, so dass sie uns für lokale Planungsaufgaben instinktiv immer irgendwie unpassend erscheinen.

Für schnell erstellte Baumassenstudien hat sich in unseren Tests das norwegische Spacio als überaus brauchbar erwiesen. Für die teilautomatische Ermittlung und Darstellung von Nutzflächentypologien kommt bei uns seit einiger Zeit das schwedische Finch zur Anwendung. Diese Hervorhebung ist jedoch keinesfalls eine erschöpfende Zusammenfassung der lohnenswerten neuen Werkzeuge.

Automatische Nutzflächen- und Grundrissplanung mit dem KI-Tool 'Finch' (Abbildung: se·g architekten)

Automatische Nutzflächen- und Grundrissplanung mit dem KI-Tool ‚Finch‘ (Abbildung: se·g architekten)

Vorgehensweise „teilautomatische Konzeptplanung“

Grundsätzlich haben sich bei uns die Produkte behauptet, die über eine funktionale Schnittstelle zu etablierten Planungswerkzeugen (wie Revit oder Rhino) verfügen. Nur so ist es möglich, die erarbeiteten Ergebnisse von dem einen Werkzeug zum nächsten zu überführen.

Wir haben im Verlauf von ca. vier Wochen verschiedene Sequenzen getestet. Je nach Aufgabenstellung erweist sich mal das eine und mal das andere Werkzeug als geeigneter. Die Ergebnisse haben wir auf unserer Büro-Website publiziert. Die Sequenz der verwendeten Softwares sieht in etwa wie folgt aus:

KI-unterstützte, teilautomatische Konzeptplanung bei se·g architekten im Überblick (Abbildung: se·g architekten)

KI-unterstützte, teilautomatische Konzeptplanung bei se·g architekten im Überblick (Abbildung: se·g architekten)

Ergänzungen und Optimierungen ergeben sich durchgängig mit dem konstanten Leistungsangebot der verwendeten Werkzeuge. Ein wichtiges Thema ist z. B. die Konsistenz der metrischen Daten, die von den verschiedenen Anbietern zu dem erarbeiteten Planungsmodell bereitgestellt werden.

Da die Rechenwege bei allen Werkzeugen durchgängig nicht nachvollziehbar sind, hat man bei einer stufenweisen Bearbeitung mit vier oder fünf Anwendungen hintereinander viele voneinander abweichende Angaben zu Geschoß- oder Nutzflächen etc.

Fazit

Wesentlicher Aspekt unserer Recherche ist nicht, ein akutes Problem unserer tagtäglichen Planungsabläufe zu lösen, sondern spielerisch zu ermitteln, was sich mit dem verfügbaren Instrumentarium herstellen lässt. Das Erlangen neuer Kompetenzen steht demnach auch weniger im Vordergrund, als das Wissen um neue Entwicklungen und Potentiale.

Bemerkenswert ist, dass man sich angewöhnen muss, seine Arbeitsmuster an die Möglichkeiten der neuen Werkzeuge anzupassen. Dies fällt jüngeren Kollegen deutlich einfacher und wird mittelfristig denjenigen den Vorzug geben, die sich in dieser neuen Arbeitsumgebung besser zurechtfinden.

Da alle Startups neben dem eigentlichen Produkt natürlich auch mit Benutzeroberflächen, Investo-rensuche und Sichtbarkeit am Markt beschäftigt sind, befinden sich momentan alle in Ihren eigenen „Expertise-Silos“. Wie sich die Stärken der verschiedenen Produkte nahtlos zu einem konsistenten Planungsprozess zusammenführen lassen, wird eine der großen Herausforderungen für eine nachhaltige Durchsetzung am Markt sein.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die weitere Entwicklung nicht ohne eine möglichst breite Erfahrung aus der praktischen Anwendung gelingen kann. Wir Planer* und Architekten* haben es also in der Hand, ob und wie sich diese neuen Möglichkeiten in der nahen Zukunft entwickeln.

Dies ist Teil 2 des Gastbeitrags von Philipp Eichstädt, Teil 1 finden Sie hier.

Über den Autor

Dipl.-Ing. Philipp Eichstädt (Foto: se·g architekten)

Dipl.-Ing. Philipp Eichstädt (Foto: se·g architekten)

Philipp Eichstädt, Jahrgang 1971, ist als selbständiger Architekt in Berlin tätig und leitet mit seinem Büro se·g architekten schwerpunktmäßig große Generalplanungsprojekte der öffentlichen Hand.

Die Erarbeitung von umfänglichen und komplexen Planwerken führt immer schon zu punktuellen und aufgabenspezifischen Programmierungen – und bildet somit die Grundlage für die Suche nach allgemeingültigen und wiederverwendbaren Lösungen. Das Erscheinen von ChatGPT hat in diesem Kontext 2023 den notwendigen Impuls gegeben, mal abseits der etablierten Anbieter von Planungssoftware nach neuen Ideen und Lösungen zu suchen.

 

Gender*n

Die in diesem Artikel verwendeten Personenbezeichnungen* beziehen sich immer gleichermaßen auf weibliche und männliche Personen. Auf Doppelnennungen und gegenderte Bezeichnungen wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet und stattdessen mit einem* gekennzeichnet.

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